Echo Eclipse | Jonas Brinker
In his solo presentaion at Die Möglichkeit einer Insel, Brinker shows a new video loop depicting an insect entity lost in an Echo chamber of screen light reflections along with objects including minerals transmitting light information.
Die Libelle als gestrandetes Flugsubjekt | Oliver Päßler
Es gibt nur sie allein, übergroß, leinwandfüllend. In Jonas Brinkers neuer Videoarbeit Echo Eclipse spielt eine Libelle die Hauptrolle. Sie begegnet uns gestrandet auf dem Boden der Zivilisation, gleichermaßen schutzlos und Ehrfurcht gebietend. Brinker zeigt die Libelle, wie sie ist: die filigrane Struktur ihrer beiden Flügelpaare, ihre runden Facettenaugen und kräftigen Mandibeln. Die reine Konstruktion der Natur verfehlt ihre ästhetische Wirkung nicht, da das Umfeld für das gezeigte Objekt so ungewöhnlich wie essenziell für das Kunstwerk ist.
Statt auf einem Schilfhalm in der Sonne zu funkeln, hat es die Libelle des nachts auf glitzernden Asphalt verschlagen. Ihre vibrierenden Flügel reflektieren die Lichter der Stadt von Neonreklamen, digitalen Werbetafeln und Einsatzwagen in schillernden Farben. Dazu hört man das bassige Grummeln der Straße. Ab und an heult eine Sirene. Hat die übermächtige Illumination dem Insekt die Orientierung genommen? – Darauf scheint der Titel Echo Eclipse jedenfalls hinzudeuten. – Oder steuerte die Libelle etwa hierher „bewusst“, um der Magie des Lichts zu frönen? Wir wissen es nicht, können es uns aber frei hinzudenken. Die nächtliche Begegnung, dokumentiert mit der Videokamera, ist ergebnisoffen.
Jonas Brinker beschäftigt sich als Filmkünstler mit Tieren. Anders als es gewöhnliche Naturdokumentationen tun, verzichtet er in seinen Videos bewusst auf eine narrative Führung. Dient die Beobachtung im Tierfilm der Erklärung, verpackt als Geschichte vom Fressen, Jagen und Vermehren, beobachtet Brinker Tiere als Wesen, die mit uns sind und sich dort aufhalten, wohin sich die Menschen ausbreiten. So zeigen seine Videoarbeiten stray (2020) und Intervall (2022) streunende Hunde vor unvollendeter Neubaukulisse an einer kargen Meeresküste. Nighfall (2023) folgt tanzenden Glühwürmchen im New Yorker Central Park. Und Echo Eclipse (2023) findet am Time Square eine erschöpfte Großlibelle. Brinkers Konzentration auf das Tier in seinem Dasein sowie sein Einsatz modernster hochauflösender Kameratechnik legen den Vergleich zu einem ambitionierten Filmprojekt der Naturforschung nahe: Die Enzyclopaedia Cinematografica (EC | 1952-92) arbeitete mit Film als wissenschaftlichem Instrument. Ihre Idee war es, in kurzen Bewegungsstudien die Grundphänomene des Lebens zu konservieren, wie den Schritt des asiatischen Elefanten oder den Galopp eines Lamas. Dabei stand der Wirklichkeitsgehalt der Aufnahmen an erster Stelle: Narration war verboten. Gefilmt wurde in schwarz-weiß. Auf Ton wurde bewusst verzichtet. Die auferlegte Reduktion der Aufnahmen zeigt sich entfernt verwandt mit Brinkers künstlerischem Setting. Hier wie dort erzeugt die Sichtbarmachung des Lebendigen als ästhetischen Überschuss eine Ehrfurcht vor dem Leben. Für die EC wäre die Libelle ein optimales Studienobjekt gewesen. Sie hätte ihre Flugkünste zum Besten gegeben, dokumentiert, wie sie abrupt die Richtung wechselt, wie es ihr gelingt, in der Luft zu stehen oder sogar rückwärts zu fliegen. Die Faszination in Echo Eclipse läuft dagegen in eine andere Richtung. Die auf dem Boden kauernde, fast reglose Libelle ist eigentümlich präsent. Die Kamera ist frontal auf sie gerichtet. Im Gegenzug scheint auch die Libelle uns anzublicken. Auf diese Weise wird die Libelle zum Subjekt der Begegnung. Das wilde Tier wird mir als Individuum bewusst, das ich zwar überdeutlich sehen kann, dessen Wesen mir aber nicht einsichtig wird. Auf die Offenheit dieser Begegnung scheint Brinker abzuzielen, nennt er das Tier doch nicht beim Namen. Die Libelle ist ein/e insect entity, mehr nicht. – Jonas Brinkers Videos agieren bewusst unwissend. Sie nehmen wahr, um zu erfahren, was ist, was sein könnte. Der Künstler beobachtet die Tiere im urbanen Spannungsfeld, nicht in ihren angestammten Habitaten. Das verleiht seinem filmischen Gefüge eine romantische Note. In Zeiten, wo Natur- und Umweltthemen in der Kunst reüssieren, Kunstschaffende mit Forschenden hochkomplexe Projekte schmieden und Ateliers zu Laboren mutieren, wirkt Brinkers dokumentarisch-künstlerischer Ansatz seltsam aus der Zeit gefallen. Und doch behauptet sich seine verdichtete Beobachtungspoesie im Diskurs als eigenständige Stimme. Das Beiwerk zum Video, eine Sammlung bunt erleuchteter Steine im Terrarium, stößt schließlich das Tor zur Naturgeschichte weit auf. Die minerals stammen aus einem Felsmassiv, aus dem auch der glitzernde Asphalt des Time Square gegossen wurde. Auf eben diesem prähistorischen Grund ruht die Libelle, als eine der am längsten existierenden Tiergruppen der Erde. Bereits vor 320 Millionen Jahren durchflog sie die Sumpfwälder des Oberkarbon, um sich heute unvermittelt auf dem Time Square wiederzufinden. Ist die Libelle vom Aussterben bedroht oder wird sie den Menschen überleben? Unausweichlich gleichzeitig leben wir miteinander, nebeneinanderher. In dieser radikalen Spannung von Urgeschichte und anthropozentrischer Gegenwart scheint Echo Eclipse zu kulminieren.